Yoga: Eine lebendige Tradition

Mysore ist das Mekka des modernen Yoga in Südindien. Die Stadt hat viele großartige Lehrer wie S.K. Patthabi Jois, B.N.S. Iyengar, Desikachar und B.K.S. Iyengar hervorgebracht, die mit ihren unterschiedlichen Schwerpunkten die erste Generation von Lehrern sind, die sich alle auf Sri T. Krishnamachacharya berufen. Ashtanga Vinyasa Yoga entwickelt sich als eine lebendige Tradition weiter und mittlerweile gibt es viele erfahrene Lehrer der zweiten und dritten Generation, die ihr fundiertes Wissen weitergeben.

Während meines Aufenthalts in Mysore durfte ich fünf Wochen lang intensiv mit Chidananda und seinem Vater Sri S.V. Venkateshaiah Asanas und Pranayama üben. Beide sind Schüler von B.N.S. Iyengar und unterrichten sowohl Inder als auch Westler in ihrer kleinen Shala im Stadtteil Gokulam.

Interview_JanoschJanosch: Wie lange übt ihr bereits Yoga?
Venkateshaiah: Ich habe die letzten 30 Jahre Yoga praktiziert. Ich habe 18 Jahre lang bei meinem Lehrer B.N.S. Iyengar 18 Jahre gelernt, bevor ich seinen Segen bekam, selbst unterrichten zu dürfen.
Chidananda: Ich habe mit 8 Jahren angefangen, Ashtanga Yoga zu üben. Es hat mich immer fasziniert, meinen Vater üben zu sehen und ich wollte das auch lernen. Es war eine schöne Zeit, als ich mit meinem Vater und seinen Freunden unter den wachsamen Augen unseres Lehrers B.N.S. Iyengar lernen durfte. Mittlerweile bin ich seit über 25 Jahren dabei.

Venkateshaiah, übst Du immer noch? Wie sieht deine Yogapraxis aus?
Venkateshaiah: Natürlich übe ich noch jeden Tag. Ich mache zwar nicht mehr so viele Asanas wie früher, aber dafür übe ich mehr Pranayama und meditiere. Asanas üben ist wie Gemüse waschen. Irgendwann muss es doch auch schnippeln und sich was Leckeres zu essen machen. Also darf man nicht nur auf den Asanas hängen bleiben, weil diese einen nicht zur letzten Stufe des Yoga bringen werden. Die höheren Glieder des Yoga müssen auch praktiziert werden. Die Haltungen sind nur ein kleiner Teil davon.
Chidananda: Auch ich praktiziere jeden Tag. Früher habe ich oft länger als drei Stunden geübt – aber jetzt bin ich Familienvater und Lehrer. Das braucht auch eine gewisse Aufmerksamkeit (lacht).

Wie wichtig ist eine eigene unabhängige Praxis für einen Lehrer?
Venkateshaiah: Wenn man nicht selbständig übt, hat man wenig Referenzen, um fundiert zu unterrichten. Das Üben lässt den Menschen besser werden. Wer nicht übt, wird schnell lethargisch und hat seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle. Wenn der Geist in keinem guten Zustand ist, wird der Körper nicht mitmachen und umgekehrt. Es gibt hier eine voneinander abhängige Beziehung. Wenn der Geist bedrückt ist, wird der Körper folgen. Egal, was deinem Geist passiert: Es wird sich in deinem Körper zeigen.

Ihr seid Vater und Sohn – wie ergänzt ihr euch in der Shala?
Chidananda: Ich bin nur sein Schüler. B.N.S. Iyengar war mein erster Lehrer. Mein Vater ist mein zweiter Lehrer. Es gibt immer noch so viele Dinge, die ich von ihm lernen kann. Wenn ich mir unsicher bin, kann ich ihn immer fragen, weil er über ein breites Wissen verfügt.

Sollte man täglich üben? Und wenn ja: Warum? Und was?
Venkateshaiah: Es ist besser, wenn man täglich übt, um den Körper und das Mentale in gutem Zustand zu halten. Wenn man aufhört zu üben, wird man faul und träge. Es ist die Magie der Wiederholung, die das System so wirksam macht.

Wie wichtig ist Tradition?
Venkateshaiah: Welche Tradition? Es gibt viele Traditionen. Ashtanga Yoga kommt von den alten Rshis. Patanjali hat Yoga reformiert und es in Form der Yoga Sutras in die Welt gegeben. Deswegen nennen ihn auch manche den „Vater des Yoga“.
Chidananda: Tradition ist mir sehr wichtig. Yoga ist nicht nur für die Gesundheit. Zuerst sind da die Yamas und Niyamas – die Grundprinzipien, die man verinnerlichen muss und versuchen sollte, nach ihnen zu leben. Dann wird man verstehen, was Yoga ist. Yoga ist die Wissenschaft über das Leben selbst. Es gibt so viel zu lernen.

Wie wichtig sind Modifikationen?
Venkateshaiah: Der Lehrer sollte die Haltungen individuell an den Zustand des Schülers anpassen. Deswegen ist ein großes Wissen über die einzelnen Dynamiken im Körper so wichtig. Ohne diese kann man eigentlich gar keine Haltungen unterrichten.
Chidananda: Der Prozess sollte sehr langsam vonstatten gehen. Zuerst muss man eine Grundlage schaffen und diese sauber lernen: das Verständnis der Atmung und der korrekten Bewegung, die daraus hervorgeht. Alles spielt eine Rolle. Es ist oft besser, weniger zu üben. Wenn man zu viel macht, wird es eher eine Reihe von Dehnübungen, als eine Yogapraxis. Wenn der Prozess langsam ist, dann wird man sich auch nicht verletzen.

Wann sollte man mit Pranayama beginnen?
Venkateshaiah: Eine gewisse Perfektion in den Haltungen ist vorausgesetzt, weil man ja für eine längere Zeit ruhig sitzen muss. Außerdem ist es gut, den Kopfstand und den Schulterstand länger halten zu können. Es ist jedoch so, dass es ohne die Implementierung von Yama und Niyama keinen Sinn macht, überhaupt Asana, Pranayama und Meditation zu üben. Das ist dann sinnlos.

Was ist der Unterschied zwischen Primary Pranayama und Advanced Pranayama?
Venkateshaiah: Anfänger beginnen mit Primary Pranayama. Es ist therapeutisch sehr gut, weil es einen hohen gesundheitlichen Nutzen hat. Fortgeschrittenes Pranayama beinhaltet das Zählen und Halten des Atems. Es eignet sich nicht für Anfänger. Das Üben von Pranayama bringt dich dem endgültigen Ziel des Yoga näher. Pranayama ist die Vorbereitung. Es führt zur Meditation. Während man übt, meditiert man zwar in einer gewissen Hinsicht, aber es ist eigentlich keine Meditation.

Wie sollte man seine Yogapraxis am besten ins Leben integrieren?
Chidananda: Am besten übt man früh morgens, wenn man noch nicht gestört werden kann. Das Wichtigste ist jedoch, dass man nach moralischen Grundsätzen lebt.

Wie findet ihr es, dass Yoga so populär wird?
Chidananda: Das macht mich sehr glücklich. Menschen achten mehr auf ihre körperliche und mentale Gesundheit. Es sind die richtige Werte, die hier verstanden werden können. So kann man viel im Leben erreichen. Aber leider wird auch zu viel Augenmerk auf das Körperliche gelegt. Die moralischen Grundsätze machen den großen Unterschied.

Was kann der Westen von Indien lernen? Und was kann Indien vom Westen lernen?
Chidananda: Man kann von jeder Kultur etwas Gutes lernen. Menschen können versuchen, sich an einer Tradition zu orientieren, die ein über lange Zeit getestetes System ist. Was mir an westlichen Studenten sehr gefällt, ist der Enthusiasmus, mit dem sie neues Wissen aufsaugen. Die Leute, die hierher kommen, haben ein so gutes Gesundheitsbewusstsein.

Was erwartet Schüler, die mit deinem Vater und dir hier in Mysore üben?
Chidananda: Die Schüler erwartet ein traditioneller und ganzheitlicher Ansatz zu allen Gliedern des Yoga. Wir fangen mit fundierten Basics an und gehen langsam Schritt für Schritt vor – so, wie wir es selber gelernt haben.


Janosch_SteinhauerJanosch Steinhauers Yogaweg begann ganz plötzlich mit einem Kletterunfall und einem gebrochenen Ellbogen. Was erst als Experiment zur schnelleren Heilung gedacht war, entwickelte sich in eine ganz andere Richtung. Durch Ron Steiner kam Janosch mit Yoga in Berührung. Rons Modifikationen und sein Verständnis von balancierenden Dynamiken, die auf seinem profunden Wissen als Sportmediziner basieren, gaben Janosch ein solides Fundament für seine eigene Yogapraxis. Außerdem ist Janosch stark inspiriert von David Regelins organischem Ansatz und er wendet dieses Wissen in seiner eigenen Praxis sowie im Unterricht an. Janoschs Unterricht zeichnet sich durch individuelle Adjustments und sinnvolle Modifikationen aus, die es den Übenden erlauben, nach ihren Fähigkeiten in ihrer eigenen Geschwindigkeit weiter zu kommen. Mehr Infos zum Autor: www.janoschs-turnstunde.com; Infos zu Chidananda: www.myashtangayoga.com

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