Dranbleiben, aushalten – Liebe leben!

Geben wir Beziehungen zu schnell auf? Ist die Liebe in Gefahr? Katharina Middendorf und Ralf Sturm nähern sich in ihrem Buch “Bereit für die Liebe” der  Liebe als Haltung an – und inspirieren zur Zusammenarbeit und eigenen Entwicklung im yogischen Sinne. Yogajournal hat sich mit dem (Autoren-) Paar unterhalten.

YJ: Zu Beginn eures Buches „Bereit für die Liebe“ schreibt ihr Beunruhigendes: „Die Liebe ist in Gefahr“! Was droht da? Was gefährdet hier welches ­Gefühl?
RS: Die Liebe ist als Haltung in Gefahr. Nicht als romantisches Gefühl – das kann man im Zeitalter der sozialen Medien immer wieder neu ausleben. Wir meinen Liebe als Einstellung, die uns durchdringt und aus der wir in die Welt gehen.
KM: Und die Auseinandersetzung miteinander, die Tatsache, dass man sich und einander aushält. Wegen der vielen Möglichkeiten der schnellen Bedürfnisbefriedigung schwindet dazu die Bereitschaft. Dabei kann Bleiben große Qualität haben und muss keinesfalls der Individualität im Weg stehen.

YJ: „Aushalten“ klingt tendenziell mühsam und passiv. Wo liegt die Grenze zu Zurückstecken und Selbst­verleugnung?
K: Das wird tatsächlich oft damit verbunden. Dann kommt der meist wohlmeinende Ratschlag „Achte auf dich! Der Andere will dich einschränken, schau, dass du deine ­individuelle Entwicklung nicht hinten anstellst.“ Dabei findet die ja genau im Aus­halten statt.
R: Es kann zwei Formen annehmen: Man hält pathologisch etwas aus – aus Angst, verlassen zu werden, weil man sich selber nicht mag und denkt, man müsse bleiben. Zum anderen kann ein Denkfehler vorliegen: Man hält ­etwas aus, was aus anderer Perspektive auch anders gesehen werden kann. Im Buch wollen wir darauf hinaus, dass wir oft unter etwas leiden, das bei näherer Betrachtung gar kein Leiden ist.

YJ: Habt ihr einen Beziehungsratgeber geschrieben?
K: Natürlich können wir uns nicht ganz davon distanzieren. „Bereit für die Liebe“ kann anregen, alle möglichen Beziehungsmuster ehrlich und mitfühlend anzuschauen und Einblicke zu gewinnen, mit denen man weitergehen kann. Was wir nicht geschrieben haben, ist ein „Schritt für Schritt“-Programm à la „In 7 Schritten zur glücklichen Partnerschaft“. Das nutzt keinem. Wie soll man eine ­Haltung in einem Raster erlernen?

YJ: Ein Plädoyer für Perspektivenwechsel und das Ändern von Mustern?
R: Wenn wir nicht mehr hinter dem Schleier der Gedanken agieren, sondern aus einer liebevollen Haltung heraus, kann das Herz wirklich aufgehen.
Was wäre das Gegenteil?
K: Resignation. In einer Beziehung geht es aber nicht um Stillstand, sondern darum, die Stellung zu halten, um sich innerhalb des Systems zu entwickeln, nicht außerhalb.

YJ: Was kann die Yogaphilosophie, die ja vor allem individuelles Wachstum beschreibt, zu dieser Entwicklung beitragen und wie ergänzt sie sich mit Erkenntnissen aus der westlichen Psychologie?
K: Neben Verhaltenstherapie und Chakren-System hat uns die Yogaphilosophie besonders interessiert. Spiritualität und Transzendenz spielten bei vielen westlichen Psychologie-Ansätzen nicht automatisch eine Rolle. Im Yoga fehlt wiederum oft der pragmatische Ansatz, zum Beispiel: „Wie komme ich mit meiner Situation zurecht?“ Stattdessen wird so eine Frage schnell mit Sätzen wie „Alles ist eins“ abgetan. Die westliche Philosophie vernachlässigt hingegen den spirituellen Kern, der uns allen innewohnt, oder ordnet ihn maximal dem individuellen Glauben zu.
R: Ich vermisse beim Yoga oft die Erkenntnis, wie wichtig der menschliche Kontakt untereinander ist. Wir wissen inzwischen viel über das heilende Potenzial von Gemeinschaft, und die Zweierbeziehung ist nun mal die kleinste Form einer menschlichen Verbindung, in der man lernen und heilen kann.

YJ: In den Yamas und Niyamas spielt sie eine gewisse ­Rolle.
K: Stimmt, aber ist unser Verhalten anderen gegenüber erst einmal erklärt, geht es nur noch um die eigene ­innere Entwicklung – als zwei getrennt erfolgende Schritte. Dass man von der Gemeinschaft etwas widergespiegelt bekommt, habe ich dort noch nicht gelesen – vielmehr, dass ich meine Sinne so schnell wie möglich zurückziehe. Dabei ist es so spannend, was auf den weiteren Entwicklungsstufen passiert.

YJ: Ein Modewort unserer Zeit ist „beziehungs­un­fähig“. Kann man das überhaupt sein? Vielleicht eher „­beziehungsunlustig“ oder „beziehungsunwillig“?
K: „Abgrenzung“ ist auch so ein Modewort und wird
generell positiv begrüßt, nur weiß keiner so richtig, was damit gemeint ist. Wenn es sich nicht um ein pathologisches Niveau handelt, um jemanden, der nicht an Verbindung glaubt, weil er sie nie erfahren hat, dann steckt in Beziehung das größte Potenzial zur eigenen Entfaltung. Es geht um die Bereitschaft dazu. Der Vorwurf oder die Selbstdia­gnose „beziehungsunfähig“ dient eher als Ausrede.

YJ: Yoga ist ein Trendthema – kann man es auch hier mit missverstandenem Individualismus zu tun haben?
K: Als Yogi lernt man ja, sich neben sich und über die Dinge zu stellen. Auf einmal ist man nicht nur der ­Experte für sich, sondern auch Beziehung. Wenn ich mir eine solche Rolle zuweise, wird Beziehung natürlich schwerer.
R: Ein Problem im Yoga ist spiritueller Hochmut. Das Gegen­mittel ist, auch mal seinen eigenen Standpunkt infrage zu stellen. Das ist „Demut“, obwohl das gar nicht gut klingt. „Hingabe“ ist schöner.
K: Auch diesen Ausdruck würde ich eher als innere Haltung sehen. In Streits finde ich es zum Beispiel wichtig, dass man sich manchmal regelrecht in den Staub wirft, nach dem Motto „Ich hab Mist gebaut und hatte meine Gründe, aber erstmal sorry.“ Das heißt nicht, sich aufzugeben, man entscheidet sich ja bewusst dafür, es zu tun. Man kann so sehr daran wachsen, wenn es gelingt, endlich mit dem Mist aufzuhören, mit dem man sich jahre­lang vor sich selbst ­gerechtfertigt hat, und die falsch aufgebaute Vorstellung von sich abzulegen.

YJ: Wie schafft man es, bei all dieser „Beziehungsarbeit“ – allein das Wort klingt anstrengend – Leichtigkeit zu bewahren? Im Yoga heißt es: „Die Haltung soll mühelos und stabil sein“ …
K: Indem man die Dinge feiert, die es zu feiern gibt. Stichwort Sexualität: Hier kann das Spielerische sehr großen Raum bekommen.
R: Und zwar die Sexualität, in der echte Verbindung entsteht. Wenn man sich wirklich begegnet, ist Beziehungsarbeit herausfordernd, aber nicht anstrengend.
K: Wir müssen dem Genuss an schönen Dingen Platz einräumen. Wenn wir uns beschweren, dass in der ­Beziehung etwas nicht mehr stattfindet, findet es meistens bei uns selbst nicht mehr statt. Ich finde es wichtig, dass wir pendeln: zwischen Konfrontation, Leichtigkeit, Ruhe, Aktivität, Lachen, Ernst … Das lernt man beim Yoga im Wechsel zwischen den unterschiedlichen Haltungen, Übungen und Energien. Diese Flexibilität sollte man auch in der Beziehung bewahren.

YJ: Wann ist doch der Punkt für die Trennung ­gekommen?
R: Wenn man merkt, dass diese „Arbeit“ einen nicht mehr auf eine neue Stufe hebt. Man muss aber genau unterscheiden, ob man sich vom Partner oder von einem unhaltbaren ­Zustand trennen will! Wenn ich klar sage, dass ich etwas so nicht mehr erleben möchte, hat der Partner die Chance, damit aufzuhören oder es anders zu machen. Er kann sagen:„Bevor du abhaust, ändere ich mich mit dir.“ Trennung ist dann unausweichlich, wenn der andere nicht mitgehen will.
K: Im Therapie-Setting kann man es bemerken, wenn alles ganz still wird…

YJ: Wie habt ihr eigene Erfahrungen als Paar eingebracht?
R: Auch wir waren schon einmal in einem unhaltbaren Zustand angekommen und wollten so nicht mehr weitermachen. Es ist ­geglückt, weil uns beiden die Beziehung wichtig war und wir uns aufeinander zubewegt haben, anstatt nur zu verhandeln.

YJ: Ihr seid nicht in der „Komfortzone des Kompromisses“, wie ihr es nennt, verharrt, sondern habt den „gnadenlos schweren Schritt der Hingabe ohne Selbstaufgabe“ unternommen. Worin besteht dieser „Deal“?
R: In wirklicher Freiheit. Die im Grunde infantile Vorstellung von Freiheit, in der mir keiner sagt, was ich zu tun und zu lassen habe, erschwert Verbindung sehr. ­Auf der anderen Seite will natürlich niemand mit jemandem leben, nach dessen Pfeife er tanzen soll. Wenn ich eine Haltung der Liebe entwickle, kann ich verbunden UND frei sein – weil ich mich dafür entschieden habe. Alle Verbindungen zu lösen, bedeutet eher Isolation als Freiheit.
K: Die gute Nachricht ist: Sich in dieser Hinsicht „neu zu programmieren“ ist keine Lebensaufgabe. Hingabe eröffnet eine neue Straße im Gehirn, die im Lauf der Zeit immer breiter und einfacher zu beschreiten sein wird.

YJ: Ihr sprecht im Buch von Bhakti Yoga und Raja Yoga.
Vereinfacht gefragt: Welches Zusammenspiel von „Denk-“ und „Herzyoga“ ist für Beziehungen ideal?
K: Hier hilft eine Übung: Man kann eine Decke als Dreieck falten. Je eine Spitze repräsentiert Herz, Kopf und Körper. Man kann sich auf jede Spitze stellen und von dort eine Entscheidung treffen, die anderen bleiben dennoch im Blickfeld. Wenn man die Spitzen in der Mitte aufeinander legt und sich draufstellt, ist man in der vierten Dimension, dem Ziel des Yoga. Es handelt sich um die gleiche Ausrichtung auf verschiedenen Wegen. Wohin wir gehen, ist unsere persönliche Entscheidung. Die Möglichkeiten wirken nicht gegensätzlich, sondern komplementär.
R: Wir brauchen alle Wege, die wir konkret beschreiten können. In unserem Buch wollen wir das mit den „Spielfeldern“, also den Chakren, verdeutlichen. Beziehung findet ja nicht nur durch Hingabe, im Herzen oder durch „Slow Sex“ oder „Soul Sex“ statt, entwickelt sich nicht nur im zweiten Chakra oder aus Denkfehlern heraus. Es gibt zum Beispiel auch ganz konkrete wirtschaftliche Elemente.

YJ: Könnt ihr als, nun ja, „Ratgeberautoren“ abschließend doch einen Tipp geben?
R: Sich als Doppelteam von „Reiseführern“ zu ­sehen und die Stationen, die sich auf der Reise ergeben, durch zwei Objektive aufzunehmen: die Yoga- und die Psychologiekamera. Die Bilder, die dabei entstehen, sind garantiert ­spannend. //

Das Buch „Bereit für die Liebe – Wenn du denkst es ist vorbei, fängt es eigentlich erst an” von Katharina Middendorf und Ralf Sturm ist bei Kamphausen erschienen und kostet 19,95 Euro.

In seinem Artikel die Kraft der Liebe fragt Ralf Sturm  was passieren kabnn, wenn wir uns wirklich entscheiden, zu bleiben.


Bild:Janrickers.com/  Buchcover “Bereit für die Liebe”

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